The casebooks project
"Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen", wusste einst Kanzler Schmidt. Was aber, wenn der Arzt nur Visionen hat?... Nicht nur heute, sondern bereits in der Frühen Neuzeit ist der ein oder andere vom Einfluss von Sternenkonstellationen auf Menschen überzeugt gewesen. So beantworteten die britischen Astrologen Simon Forman und Richard Napier in ihren Casebooks ihren Kund*innen Fragen, indem sie versuchten, in den Positionen von Planeten und Sternen Antworten zu finden. Ihre Befragungen und Ergebnisse hielten sie in rund 80.000 Casebooks fest, die heute eine der umfassendsten erhaltenen schriftlichen Quellen von medizinischen Fällen in der Frühen Neuzeit darstellen. Denn mindestens 90 Prozent der protokollierten Fragen drehten sich um den Gesundheitszustand der Kund*innen, die aus verschiedensten Schichten in London und Buckinghamshire stammten und unterschiedlich alt waren. Auch für deren alltägliche Erfahrungen sind die Bücher aufschlussreich.
Einer von vielen Fällen berichtet bspw. von der 25-jährigen Joan Clarke of Rhood, die am 18. Mai 1605 gegen den Willen ihrer Mutter zu Napier gebracht wurde. Die Mutter beklage sich, ihre Tochter sei verhext, denn sie wolle zu keiner anständigen Heiratspartie zusagen und sei auf verwahrloste Männer fixiert, unter anderem einen Herrn Francis Stoakes. Auch das gute Zureden von Freunden helfe nicht. Napier vermerkt keine Behandlungsmöglichkeiten.
Die Aufzeichnungen aus dem 16./17. Jahrhundert wurden in einem Projekt der @cambridgeuniversity digital ediert. Die Website bietet eine Suchfunktion durch die komplett transkribierten Fälle, welche nach Kategorien sortiert wurden. Auch ein einordnender Überblick über frühneuzeitliche Medizin und Astrologie sowie ein Einführungsvideo in das Projekt gehören dazu.
Lauren Kassell, Michael Hawkins, Robert Ralley, John Young, Joanne Edge, Janet Yvonne Martin-Portugues, and Natalie Kaoukji (eds.), ‘Casebooks’, The casebooks of Simon Forman and Richard Napier, 1596–1634: a digital edition, https://casebooks.lib.cam.ac.uk, accessed 21 February 2022.
Autor*in: M. Klinkenberg