21. März 2023

Call for Papers: Geschlechterzuschreibungen der (Un-)Versöhnlichkeit Call for Papers: Geschlechterzuschreibungen der (Un-)Versöhnlichkeit

Tagung am 22.-24. Februar 2024

'Reconciliation' by Josefina de Vasconcellos
'Reconciliation' by Josefina de Vasconcellos © pixabay – wal_172619
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– English version below –

Offensiv bekennt sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock seit Beginn ihrer Amtszeit zu einer „feministischen Außenpolitik“, die für sie auch Waffenlieferungen an die Ukraine rechtfertigen kann. Demgegenüber positioniert sich Alice Schwarzer, eine der prominentesten deutschen Feministinnen in einem offenen Brief in der Frauenzeitschrift Emma im April 2022 ebenso wie in einem Manifest für den Frieden zu Anfang dieses Jahres mit dem Credo, dass eine Einmischung in den Krieg von dritter Seite nur in Form von Verhandlungsforderungen erfolgen dürfe. So konträr diese Positionen auch erscheinen, liegt doch beiden die Überzeugung zugrunde, dass Feminismus eine spezifische Perspektive auf die außenpolitischen Konflikte hervorbringe, eine wichtige Rolle bei der Konfliktlösung spielen und zu einer nachhaltigen Stabilisierung der Friedensordnung beitragen könne.  

Wenn Politiker:innen nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen westlichen Ländern, „feministische Außenpolitik“ zum Programm erklären, schwingt dabei in der Regel die Vorstellung mit, eine historische Wende werde vollzogen. Der Gedanke, dass es geschlechterspezifische Wege der Konfliktlösung und Versöhnung gebe, hat jedoch eine lange Tradition. Schon in den Anfängen der Frauenbewegung führten deren Aktivistinnen ihn als Argument ins Feld, um die Forderung zu untermauern, dass Frauen politisch eine Stimme erhalten sollten. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert bemühten sich Feministinnen dann in der internationale Frauenfriedensbewegung gezielt aus einer geschlechterspezifischen Position heraus auf die internationalen Beziehungen Einfluss zu nehmen. Sie waren überzeugt, dass sie damit einen wichtigen Beitrag zu einem nachhaltigen Frieden liefern könnten. Eine wichtige Rolle spielte dabei die biologistische Argumentation, dass Frauen dazu bestimmt seien, Leben zu geben, und daher dem Krieg, der Leben vernichte, entgegenwirken müssten. Auch im sozialen Bereich definierten Frauen ihre besondere geschlechtsspezifische Aufgabe oft darin, eine ausgleichende, versöhnende Funktion zu erfüllen, und begründeten dies ebenfalls mit dem Verweis auf die „Mütterlichkeit“.

Allerdings war die Beschwörung der Mütterlichkeit in diesem Kontext ambivalent, denn sie konnte als wichtiger Baustein der bürgerlichen Geschlechterideologie ebenso dazu dienen, die traditionellen Geschlechterhierarchien zu rechtfertigen. Emanzipationsgegner:innen argumentierten beispielsweise, das politische Engagement von Frauen führe dazu, dass diese ihre Rolle als „Versöhnerinnen“ aufgäben. Darin erblickten sie eine schwerwiegende Gefahr für den sozialen Frieden. Und als geradezu skandalös erschien es vielen Zeitgenoss:innen, wenn Frauen sich ganz bewusst entschieden, anstatt sich für Versöhnung einzusetzen, sogar gewaltsam in Konflikten eingriffen.

Die Tagung möchte die Bedeutung der Kategorie „Geschlecht“ in Konfliktlösungs- und Versöhnungs­prozessen des 19. bis 21. Jahrhunderts aus historischer Perspektive beleuchten. Sie will sich dabei nicht allein auf die historiographisch bereits relativ gut ausgeleuchtete Frauenfriedensbewegung konzentrieren, sondern Forschungen zusammenbringen, die nach Geschlechterzuschreibungen bei verschiedenen Formen von Versöhnungs­bemühungen in unterschiedlichen Konfliktkonstellationen fragt – sei es in der Ehe, im Nachbarschaftsstreit, im Klassenkonflikt oder im Krieg.

Ein besonderes Augenmerk soll dabei auch der Frage gelten, die die Bedeutung von Geschlecht in Konfliktlösungsprozessen aus globalhistorischer Perspektive betrachten. Denn die hier beschriebene Geschlechterideologie war ein europäisches Produkt, ebenso wie auch Konfliktlösungsstrategien in Europa ihr eigenes Gepräge hatten, wobei hier wie dort christlich-religiöse Vorstellungen einflussreich waren. Und für beide Felder waren Europäer:innen vielfach von ihrem zivilisatorischen Vorsprung überzeugt. So verwundert es nicht, dass aus postkolonialer Perspektive heraus auch der Ansatz der „feministischen Außenpolitik“ als westliches Überlegenheitsdenken kritisiert wird. Auch dies gibt Anlass, die zeitgenössischen Vorstellungswelten und Praktiken einer kritischen Analyse zu unterziehen.

Denkbar wären Beiträge, die folgende Fragen diskutieren: 

  • Welche Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit beeinflussten bestimmte Strategien zur Konfliktlösung oder Versöhnungsinitiativen?
  • Inwiefern finden sich komplementäre Geschlechtervorstellungen auch für Unversöhnlichkeit?
  • Wie wurden diese Vorstellungen diskutiert? Gingen die Zeitgenoss:innen etwa davon aus, dass sie universelle Gültigkeit hatten oder hielten sie sie für historisch wandelbar? Welche Gegenentwürfe konnte es möglicherweise auch zu den gängigen Geschlechterzuschreibungen geben?
  • Finden sich in anderen Kulturen andere Vorstellungen über den Zusammenhang zwischen Geschlecht und Konfliktlösung? Welche Wechsel­wirkungen gab es gegebenenfalls auf globaler Ebene (z.B. im kolonialen Kontext)?
  • Welche Zusammenhänge zwischen der gesellschaftlichen und speziell der rechtlichen Stellung von Frauen auf der einen Seite und geschlechterspezifischen Zuschreibungen versöhnlicher oder unversöhnlicher Eigenschaften auf der anderen Seite lassen sich ausmachen? Lässt sich eine intersektionale Variabilität beobachten?
  • Inwieweit erblickten auch Zeitgenoss:innen solche Zusammenhänge und wie wurden sie von Frauenrechtsaktivistinnen einerseits, von Antifeminist:innen andererseits diskutiert?
  • Wie versuchten historische Akteur:innen, solche Geschlechterzuschreibungen in spezifischen Konfliktsituationen oder Versöhnungsinitiativen auszunutzen? In welchen Situationen wurden sie vielleicht auch instrumentalisiert (z.B. im Klassenkonflikt/in Ehekonflikten)?
  • Wie wirkten sich verbreitete geschlechterspezifische Zuschreibungen aus, wenn es darum ging, Versöhnung zwischen den Geschlechtern zu erreichen?

Die Tagung wird vom 22.-24. Februar 2024 in Bonn stattfinden. Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Interessierte sind eingeladen, Abstracts bis max. 500 Wörter sowie eine ausformulierte Kurzbiografie (max. 200 Wörter) bis zum 30. April 2023 via Mail an Prof. Dr. Christine Krüger (nng@uni-bonn.de) einzureichen. Die ausgewählten Beiträge werden im Vorfeld der Tagung den Beteiligten zur Verfügung gestellt. Reise- und Übernachtungskosten werden erstattet. Eine Publikation der Tagungsergebnisse ist angedacht.

 

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Gender Attributions of (Ir-)Reconciliation

Since the beginning of her term in office, the German Foreign Minister Annalena Baerbock has openly declared her support for a "feminist foreign policy", which for her can also justify deliveries of arms to Ukraine. In contrast, Alice Schwarzer, one of the most prominent German feminists, positioned herself in an open letter in the women's magazine Emma in April 2022 as well as in a manifesto for peace at the beginning of this year with the credo that interference in the war from a third party should only take the form of demands for negotiations. As contrary as these positions appear, both are based on the conviction that feminism brings a specific perspective to foreign policy conflicts, can play an important role in conflict resolution, and contribute to a lasting stabilisation of the peace order. 

When politicians, not only in Germany but also in other Western countries, declare "feminist foreign policy" to be their programme, this is usually accompanied by the idea that a historical turning point is being reached. However, the idea that there are gender-specific ways of conflict resolution and reconciliation has a long tradition. Already in the early days of the women's movement, its activists used it as an argument to support the demand that women be given a political voice. From the end of the 19th century onwards, feminists in the international women's peace movement tried to influence international relations from a gender-specific position. They were convinced that they could make an important contribution to a lasting peace. An important role was played by the biologistic argumentation that women were destined to give life and therefore had to counteract war, which destroyed life. In the social sphere, too, women often defined their specific task as fulfilling a balancing, reconciling function, and also justified this with reference to "motherliness".

However, the invocation of motherliness in this context was ambivalent, because as an element of bourgeois gender ideology, it could equally serve to justify traditional gender hierarchies. Opponents of emancipation argued, for example, that women's political engagement would lead them to abandon their role as "reconcilers". They considered this a serious threat to social peace. And it seemed downright scandalous to many contemporaries when women deliberately decided to intervene violently in conflicts instead of working for reconciliation.

The conference aims to shed light on the significance of the category "gender" in conflict resolution and reconciliation processes from the 19th to the 21st century from a historical perspective. It does not want to concentrate solely on the women's peace movement, which has already been relatively well studied by historians, but to bring together research that asks about gender attributions in various forms of reconciliation efforts in different constellations of conflict  – e.g. it in marriage, in neighbourly disputes, in class conflict or in war.

Special attention will also be given to a global history perspective. For the gender ideology described here was a European product, just as conflict resolution strategies in Europe had their own character, with Christian religious ideas being influential. And for both fields, Europeans were often convinced of their pre-eminence of civilisation. Thus, it is not surprising that from a postcolonial perspective, the approach of "feminist foreign policy" is also criticised as Western superiority thinking. This, too, prompts reason to critically analyse contemporary imaginaries and practices.

Proposals may address but are not limited to the following questions: 

  • Which conceptions of masculinity and femininity influenced certain strategies for resolving conflict or initiatives of reconciliation?
  • To what extent are complementary gender conceptions also found for irreconcilability?
  • In which ways were these ideas discussed? Did contemporaries assume they had universal validity or did they consider them historically changeable? Which alternative drafts could there be to the common gender attributions?
  • Do other cultures have different ideas about the connection between gender and conflict resolution? What interactions, if any, existed on a global level (e.g. in the colonial context)?
  • Which connections can be identified between the social and especially the legal position of women on the one hand and gender-specific attributions of conciliatory or irreconcilable characteristics on the other? Can we observe intersectional variability?
  • To what extent did contemporaries also see such connections and how were they discussed by women's rights activists on the one hand and by anti-feminists on the other?
  • How did historical actors try to exploit such gender ascriptions in specific situations of conflict or reconciliation initiatives? In which situations were they perhaps also instrumentalised (e.g. class conflict/marital conflict)?
  • Which were the effects of widespread gender ascriptions when it came to achieving reconciliation between the sexes?

The conference will take place in Bonn from 22-24 February 2024. Conference languages are German and English. We invite abstracts of up to 500 words and a short biography (max. 200 words) by 30th April 2023 via email to Prof. Dr. Christine Krüger (nng@uni-bonn.de). The selected contributions will be circulated among participants prior to the conference. Travel and accommodation costs will be reimbursed. A publication of the conference output is envisaged.

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