Das nackte Leben: Repression, Lager, Zwangsarbeit. Die Geschichte des sowjetischen GULAG in Zentrum und Peripherie

Das 20. Jahrhundert ist die Geburtsstunde der Biopolitik: Staaten mischen sich in Leben und Tod von Bürger:innen ein – sie verbannen, inhaftieren, deportieren, vernichten. Für den Philosophen Giorgio Agamben ist das Lager das zentrale Symbol der Biopolitik im 20. Jahrhundert. In der Übung beschäftigen wir uns mit einem der vielen Lagerphänomene des 20. Jahrhunderts: Wir betrachten die Geschichte des sowjetischen GULAG-System von seinen Anfängen bis hin zu seiner Auflösung. Während die Übung sich zwar auf die Geschichte von Repressionen und Lager beschäftigt, bietet sie zugleich einen Einstieg in die Geschichte der Sowjetunion der 1920er bis 1950er Jahre.

Auf einer Reise vom Zentrum der Sowjetunion bis zu den Peripherien der zentralasiatischen Sowjetrepubliken besprechen wir die Ursprünge des GULAG (politische Legitimation, Anknüpfung an Strafpraxis im Zarenreich), die Struktur staatlicher Überwachung, den Alltag im Lager, das Aufarbeiten des Lagers in persönlichen Memoiren und die Erinnerung an das GULAG-System und an den Stalinismus in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Der regionale Fokus der Übung liegt auf der Ukraine, Russland und Kasachstan. Diese Akzentsetzung ermöglicht ein Verständnis für das Zusammenspiel zwischen Zentrum und Peripherie in der Sowjetunion und verdeutlicht zudem die verschiedenen Erinnerungskonflikte im postsowjetischen Raum.

Durch die zusätzliche Lektüre der persönlichen Memoiren und Erinnerungen von GULAG-Überlebenden werden wir uns auf eine Suche nach Eigendarstellung und Sinnstiftung in einer post-stalinistischen Gesellschaft machen und das Lager und seine Spuren auch auf mikrohistorischer Ebene erforschen. So fragte Warlam Schalamow, der 17 Jahre seines Lebens im Lager inhaftiert war, fragte in seinen Memoiren Über die Kolyma: „Wird irgendjemand diese traurige Geschichte brauchen? Eine Erzählung nicht von einem siegreichen Geist, sondern einem zertretenen [...]. Wer braucht sie als Exempel, wen kann sie erziehen, vor Schlechtem bewahren und wen Gutes lehren?” Im Laufe der Übung wird Schalamows Frage über die (Un-)Möglichkeit der Lehre aus dem Lager uns durchgehend begleiten.

Die Bereitschaft, auch englischsprachige Texte zu lesen, wird vorausgesetzt. Sprachkenntnisse osteuropäischer oder zentralasiatischer Sprachen sind für diese Übung nicht notwendig.

Studienleistung: Aktive Mitarbeit und Teilnahme; schriftliche Hausaufgaben (Kurzes Essay).

Prüfungsleistung: Je nach Modul.

Übung

Mittwochs, 12 Uhr c.t. - 14 Uhr

Erste Sitzung:

09.04.2025

Letzte Sitzung:

16.07.2025

Adenauerallee 4-6, 53113 Bonn
Raum 3.010

Literatur

 


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