Was ist Epigraphik?
Definition
Die Epigraphik beschäftigt sich mit Schrift, die auf anderen Materialien als Pergament und Papier ausgeführt ist. Nach der Definition von Rudolf M. Kloos († 1982) sind Inschriften "Beschriftungen verschiedener Materialien - in Stein, Holz, Metall, Leder, Stoff, Email, Glas, Mosaik usw. - die von Kräften und mit Methoden hergestellt sind, die nicht dem Schreibschul- oder Kanzleibetrieb angehören". (R. M. Kloos, Einführung in die Epigraphik des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Darmstadt 1980, S. 2).
Marmor, Stein und Eisen spricht: Inschriftenträger
Inschriften werden also nicht mit Feder und Tinte auf Pergament oder Papier niedergeschrieben, sondern z.B. in Stein gemeißelt, in Metall gegossen oder graviert, in Holz geschnitzt, in Email eingelegt. Fast jeder Gegenstand kommt für die Anbringung einer Inschrift in Frage und kann ein Inschriftenträger sein. Zahllose Inschriften befinden sich etwa an Gebäuden (z. B. Bau- oder Hausinschriften), auf Glocken, Grabplatten, Goldschmiedearbeiten, Glasfenstern und Textilien.
Der wissenschaftliche Wert von Inschriften
Die wissenschaftliche Erforschung von antiken Inschriften hat eine lange Tradition, da Inschriften für diese ansonsten quellenarme Zeit oft die einzigen schriftlichen Überlieferungen bieten. Die mittelalterliche und frühneuzeitliche Epigraphik etablierte sich dagegen erst später als eigenständiges Fach, das mittlerweile zum Fächerspektrum der historischen Grundwissenschaften gerechnet wird.
Anders als archivalische Quellen wie Urkunden oder Akten sind Inschriften häufig öffentlich sicht- und lesbar und bezeugen den Wunsch, den Zeitgenossen, aber auch der Nachwelt Zeugnis von der eigenen Existenz, von Taten und Beweggründen des Handelns zu geben. Außerdem sind sie orts- und objektgebunden, so dass sie textimmanente Informationen und solche, die sich auf den Trägern beziehen, vermitteln.
Wie Inschriften ausgewertet werden können
Durch den Zusammenhang zwischen Text und Träger können Inschriften für die Beantwortung ganz unterschiedliche Fragestellungen herangezogen werden: Inschriften des Totengedenkens sind eine wichtige personengeschichtliche Quelle, geben aber auch Aufschluss über das Verhältnis der Menschen zum Tod; Bauinschriften nennen Auftraggeber profaner und kirchlicher Gebäude und bezeugen Baufortschritte; Glockeninschriften überliefern Gießernamen, zeigen aber auch die unheilabwehrende Wirkung, die Glocken zugeschrieben wurde.
Komplexe theologische Konzepte und liturgische Zusammenhänge werden zuweilen in Inschriften auf Goldschmiedearbeiten thematisiert. Auch aus philologischer Sicht sind Inschriften interessant, sie dokumentieren z. B. regionale Sprachunterschiede und den zeitlichen Ablauf sprachgeschichtlicher Entwicklungen.
Literaturhinweise zur Epigraphik
Einführungen
Christine Wulf, Sprachhistorisch-paläographisch orientierte Edition versus Norm. Editorische Erfahrungen mit Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, in: Inschriften edieren und kommentieren. Beiträge zur Editionspraxis, -methodik und -theorie, hg. von Armin Eich (Beihefte zu Editio 50), Berlin/Boston 2022, S. 151-168.
Walter Koch, Inschriftenpaläographie des abendländischen Mittelalters und der früheren Neuzeit. Früh- und Hochmittelalter, Wien/München 2007.
Deutsche Inschriften. Terminologie zur Schriftbeschreibung, erarbeitet von den Mitarbeitern der Inschriftenkommissionen der Akademien der Wissenschaften in Berlin, Düsseldorf, Göttingen, Heidelberg, Leipzig, Mainz, München und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Wien, Wiesbaden 1999.
Sabine Wehking/Christine Wulf, Leitfaden für die Arbeit mit historischen Inschriften. Bausteine zur Heimat- und Regionalgeschichte, Melle 1997.
Helga Giersiepen/Clemens Bayer, Inschriften – Schriftdenkmäler: Techniken, Geschichte, Anlässe, Niedernhausen/Taunus 1995.
Rudolf M. Kloos, Einführung in die Epigraphik des Mittelalters und der frühen Neuzeit, 2. Aufl. Darmstadt 1992.
Weiterführende Bibliographien und Recherchemöglichkeiten
Walter Koch/Franz-Albrecht Bornschlegel, Literaturbericht zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Epigraphik /1998-2002) (MGH Hilfsmittel 22), Hannover 2005.
Walter Koch/Franz-Albrecht Bornschlegel/Maria Glaser, Literaturbericht zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Epigraphik (1992-1997) (MGH Hilfsmittel 19), Hannover 2000.
Walter Koch unter Mitarbeit von Franz-Albrecht Bornschlegel, Albert Dietl und Maria Glaser, Literaturbericht zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Epigraphik (1985-1991) (MGH Hilfsmittel 14), München 1994.
Walter Koch, Literaturbericht zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Epigraphik (1976-1984) (MGH Hilfsmittel 11), München 1987.
2005 hat das Epigraphische Forschungs- und Dokumentationszentrum (EFDZ) die Printpublikation der kommentierten Literaturberichte (1987-2005) eingestellt; seitdem werden epigraphische Publikationen in die umfangreichen Literaturdatenbank eingepflegt.